Absatz 4 | Absatz 4 | |
Christoph Hein hat “seinen” Juden, auf den er sich stützen kann: Max Nordau. Aber auch ich kenne einen Juden, der in der deutschen Geschichte eine wesentliche Rolle gespielt hat, einen wie Nordau literarisch sehr belesenen Juden, dessen Lebenslauf in vielfältigen Beziehungen zu der vorliegenden Arbeit steht. Der humanistische Sozialist Heinz Brandt hat nicht nur neun Jahre Nazi-Zuchthaus und später Auschwitz und Buchenwald überlebt (war an der Befreiung von Buchenwald beteiligt) ; er war auch ein intimer Kenner des ostdeutschen Staates und ost-westdeutscher Korruption. Heinz Brandt, Exkommunist und “Renegat“, wurde, nachdem er aus dem Osten in den Westen geflohen war, vom KGB (wie sich später herausstellte: unter Mithilfe von IG-Metall-Vorstandsmitgliedern) aus West-Berlin entführt und verbrachte drei Jahre in Einzelhaft in Ostberlin. Nach seiner durch Amnesty International und Bertrand Russell betriebenen Freilassung hat er als deutschlandpolitischer Berater der SPD an der Ostpolitik der Koalition mitgearbeitet. Heinz Brandt hat außerdem auf mein Leben einen großen Einfluß gehabt. Obwohl ich ihn selbst nicht oft getroffen habe, war ich über ihn und sein Leben; seine Konflikte mit der IG-Metall, den Grünen, der Kernkraft-Lobby, seine Meinungen und Vorlieben auf dem Laufenden (er war z.B. ein großer Günter-Grass-Fan; sein Lieblingsbuch war der Butt. Er kannte Grass persönlich von gemeinsamen Gewerkschaftsseminaren). Schon sein Andenken allein wäre Grund genug, um die Welt- und Literatursicht Heins und der Hein-Anhänger zu bekämpfen. Brandts Autobiographie Ein Traum, der nicht entführbar ist. Mein Weg zwischen Ost und West (1967) gibt den Standpunkt eines mutigen Mannes, der wie Hirschburg die Verfolgung überlebt und seinen Glauben behält. Doch kann Heinz Brandts Leben und sein hoffnungsvolles Denken auf keinen Fall als Kontrastprogramm zu sich aufgebenden Selbstmördern begriffen werden. Es kann allerdings als Kontrastprogramm zu einem an das unmenschliche DDR-System angepaßten Denken gelten ebenso wie auch als Kontrastprogramm zu einer an die moderne Marktwirtschaft optimal angepaßten „Wissenschaft“. | Christoph Hein hat "seinen" Juden, auf den er sich stützen kann: Max Nordau. Aber auch ich kenne einen Juden, der in der deutschen Geschichte eine wesentliche Rolle gespielt hat, einen wie Nordau literarisch sehr belesenen Juden, dessen Lebenslauf in vielfältigen Beziehungen zu der vorliegenden Arbeit steht. Der humanistische Sozialist Heinz Brandt hat nicht nur neun Jahre Nazi-Zuchthaus und später Auschwitz und Buchenwald überlebt (war an der Befreiung von Buchenwald beteiligt) ; er war auch ein intimer Kenner des ostdeutschen Staates und ost-westdeutscher Korruption. Heinz Brandt, Exkommunist und "Renegat", wurde, nachdem er aus dem Osten in den Westen geflohen war, vom KGB (wie sich später herausstellte: unter Mithilfe von IG-Metall-Vorstandsmitgliedern) aus West-Berlin entführt und verbrachte drei Jahre in Einzelhaft in Ostberlin. Nach seiner durch Amnesty International und Bertrand Russell betriebenen Freilassung hat er als deutschlandpolitischer Berater der SPD an der Ostpolitik der Koalition mitgearbeitet. Heinz Brandt hat außerdem auf mein Leben einen großen Einfluß gehabt. Obwohl ich ihn selbst nicht oft getroffen habe, war ich über ihn und sein Leben; seine Konflikte mit der IG-Metall, den Grünen, der Kernkraft-Lobby, seine Meinungen und Vorlieben auf dem Laufenden (er war z.B. ein großer Günter-Grass-Fan; sein Lieblingsbuch war der Butt. Er kannte Grass persönlich von gemeinsamen Gewerkschaftsseminaren). Schon sein Andenken allein wäre Grund genug, um die Welt- und Literatursicht Heins und der Hein-Anhänger zu bekämpfen. Brandts Autobiographie Ein Traum, der nicht entführbar ist. Mein Weg zwischen Ost und West (1967) gibt den Standpunkt eines mutigen Mannes, der wie Hirschburg die Verfolgung überlebt und seinen Glauben behält. Doch kann Heinz Brandts Leben und sein hoffnungsvolles Denken auf keinen Fall als Kontrastprogramm zu sich aufgebenden Selbstmördern begriffen werden. Es kann allerdings als Kontrastprogramm zu einem an das unmenschliche DDR-System angepaßten Denken gelten ebenso wie auch als Kontrastprogramm zu einer an die moderne Marktwirtschaft optimal angepaßten "Wissenschaft". | |
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Treibe ich selbst also auch das Spiel “guter Jude gegen schlechter Jude”, das Hein spielt? Ist also Heinz Brandt der gute Jude gegen den schlechten Juden Nordau? Umgekehrt. Für mich war die jüdische Kultur, bevor ich Nordau kennenlernte, eine Kultur der Gelehrten und der kritischen Denker. Dieses positive Vorurteil hat einen Kratzer bekommen. | Treibe ich selbst also auch das Spiel "guter Jude gegen schlechter Jude", das Hein spielt? Ist also Heinz Brandt der gute Jude gegen den schlechten Juden Nordau? Umgekehrt. Für mich war die jüdische Kultur, bevor ich Nordau kennenlernte, eine Kultur der Gelehrten und der kritischen Denker. Dieses positive Vorurteil hat einen Kratzer bekommen. | |
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In Heinz Brandts Autobiographie wie auch in der seines Freundes, des Dissidenten, Wissenschaftstheoretikers und geistigen Wegbereiters des Herbstes ‘89 Robert Havemann , fand ich erst nach über einem Jahr meiner “Überreaktion” gegen Passage weitere objektive (in meiner eigenen Biographie begründete) Motive für meinen subjektiven Haß auf Christoph Hein. Ich glaube, aufzeigen zu können, daß Christoph Hein mit seiner ausführlichen Abwertung von “chinesischer Philosophie” auch auf Robert Havemann zielt. Heinz Brandt hat mich auch auf andere Spuren im Fall Hein gebracht. Brandts Sprachkritik hat dazu geführt, daß ich mich mit Karl Kraus beschäftigte, der in Brandts Autobiographie erwähnt wird. Über Brandts Stichwort “Entartung” und über Kraus kam ich dann zu Nordau. Und wie ich schließlich feststellte, ist der Roman Ein weites Feld des von Brandt so geschätzten Autors Günter Grass nicht nur eine Auseinandersetzung mit Fontane und mit der neoliberalen Literaturwissenschaft, sondern auch und vor allem eine Auseinandersetzung mit Hein und seinem Antisemitismus. “Ein weites Feld” ist nicht nur ein Fontane-Zitat, sondern auch ein Hein-Zitat, und zwar aus Heins Rede Ein bißchen laut (1990), in der Hein abfällig über den Selbstmord der Juden Kurt Tucholsky und Walter Benjamin spricht. | In Heinz Brandts Autobiographie wie auch in der seines Freundes, des Dissidenten, Wissenschaftstheoretikers und geistigen Wegbereiters des Herbstes ‘89 Robert Havemann , fand ich erst nach über einem Jahr meiner "Überreaktion" gegen Passage weitere objektive (in meiner eigenen Biographie begründete) Motive für meinen subjektiven Haß auf Christoph Hein. Ich glaube, aufzeigen zu können, daß Christoph Hein mit seiner ausführlichen Abwertung von "chinesischer Philosophie" auch auf Robert Havemann zielt. Heinz Brandt hat mich auch auf andere Spuren im Fall Hein gebracht. Brandts Sprachkritik hat dazu geführt, daß ich mich mit Karl Kraus beschäftigte, der in Brandts Autobiographie erwähnt wird. Über Brandts Stichwort "Entartung" und über Kraus kam ich dann zu Nordau. Und wie ich schließlich feststellte, ist der Roman Ein weites Feld des von Brandt so geschätzten Autors Günter Grass nicht nur eine Auseinandersetzung mit Fontane und mit der neoliberalen Literaturwissenschaft, sondern auch und vor allem eine Auseinandersetzung mit Hein und seinem Antisemitismus. "Ein weites Feld" ist nicht nur ein Fontane-Zitat, sondern auch ein Hein-Zitat, und zwar aus Heins Rede Ein bißchen laut (1990), in der Hein abfällig über den Selbstmord der Juden Kurt Tucholsky und Walter Benjamin spricht. | |
Absatz 9 | Absatz 9 | |
„Wo Anpassung dominiert, verschwimmt und verkümmert kollektive wie individuelle Identität.[...] Da ich an die Wirkung von Literatur glaube, glauben will, sage ich, daß Brandts Buch gegen solche Übel helfen kann.“ | "Wo Anpassung dominiert, verschwimmt und verkümmert kollektive wie individuelle Identität.[...] Da ich an die Wirkung von Literatur glaube, glauben will, sage ich, daß Brandts Buch gegen solche Übel helfen kann." | |
Absatz 11 | Absatz 11 | |
„Wahrnehmen, was ist- und nicht verzweifeln! Aussprechen, was ist! Wißbegierig die Welt interpretieren, im Bemühen, sie so zu verändern, daß sie erhalten bleibt.“ | "Wahrnehmen, was ist- und nicht verzweifeln! Aussprechen, was ist! Wißbegierig die Welt interpretieren, im Bemühen, sie so zu verändern, daß sie erhalten bleibt." | |
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Alle Beteiligten am Projekt in Leiden haben genau in diesem Sinne gehandelt. Heinz Brandt zählt in seiner Danksagungsrede einige „Traum-Dissertationen“ auf, die er gerne geschrieben hätte. Eine davon würde sich damit beschäftigen, was Jesus meinte mit „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und gebt Gott, was Gottes ist.“ Brandt interpretiert dies anders als Luther, und zwar als Aufforderung zum Widerstand - aber ausschließlich nur da, wo die heiligsten Werte berührt sind. Ich stimme dem zu. Ich habe nicht die geringste Lust zum Kampf, es sei denn, wenn es um absolute Dinge geht und wenn außerdem die Gunst der Stunde eine Chance bietet. | Alle Beteiligten am Projekt in Leiden haben genau in diesem Sinne gehandelt. Heinz Brandt zählt in seiner Danksagungsrede einige "Traum-Dissertationen" auf, die er gerne geschrieben hätte. Eine davon würde sich damit beschäftigen, was Jesus meinte mit "Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und gebt Gott, was Gottes ist." Brandt interpretiert dies anders als Luther, und zwar als Aufforderung zum Widerstand - aber ausschließlich nur da, wo die heiligsten Werte berührt sind. Ich stimme dem zu. Ich habe nicht die geringste Lust zum Kampf, es sei denn, wenn es um absolute Dinge geht und wenn außerdem die Gunst der Stunde eine Chance bietet. |
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