Nationale Volksarmee/Erlebnisbericht

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Brief des Soldaten Gerlach an den RESI Reisener vom 30/08/84 (authentisch)

    • Soldat B.Gerlach 1278 Muencheberg PSF 86196
    • Hey Lothar Donnerstag 19.00 Wachlokal 236+h

Ich wollte eigentlich nicht mehr schreiben aber die Ereignisse der letzten Tage sind doch so,dass man sie festhalten sollte fuer spaetere Zeiten,fuer Zeiten an denen man vielleicht etwas vergessen koennte. Da es zu gefaehrlich ist Tagebuch zu fuehren, werde ich Dir in diesem Brief die letzten 4 Tage mal geistig an mir, an uns, vorbeiziehen lassen. Auch als kleiner Vorgeschmack, falls du es als RESI schlecht abfasst. Montag 05.30 Uhr Wecken. Ich habe Dienst und ziehe mit `nem E und noch `nem Vize In den Bunker. Der Dienst laesst sich gut an. Ich habe von den 24 Stunden die ersten 8 Bereitschaft. Der E steht am Funknetz. DerVize schlaeft. Um 16.00 kommt der Befehl, dass der andere Vize zum heutigen Schiessen mitfahren soll. Er geht, aber keine Abloesung kommt, so dass der E und ich 24h durchstehen, da immer einer Bereitschaft stehen muss waehrend der andere funkt. Dienstag:07.00 Uhr Wir kommen beide mit den anderen der DHS-Schicht total knuelle vom Dienst und ich erfahre, dass ich nachmittags auf Wache ziehen soll. Der E ebenfalls. Wir erhalten die Erlaubniss vom Hptfeld uns bis mittags hinzulegen. Dann Mittagessen,und ab 13.00 Wachbelehrung, Aufmumpeln, Vergatterung, Dienst. Die Wache laesst sich gut an, ich stehe im 3.Aufzug von 20.00 - 22.00, 02-00- 04.00,08.00- 10.00 und von 14.00 -16.00. Der OvD dessen Dienstzimmer sich im Wachgebaeude befindet, ist ein glatter Leutnant. Um 20.00 kommt `ne Meldung uebern Buschfunk, "Alarm im Anzug". Von da an schwebt der Lollie, abwechselnd rot und blass werdend, an der Decke und flattert. Er laesst uns mit Stahlhelm auf dem Kopf aufziehen. Das hat zwar keiner befohlen (Kommandeur) aber er hat Angst. Um 05.30 ist er dann soweit, dass er sich selbst kaum noch `ne Zigarette anzuenden kann. Er laesst die schlafende Schicht wecken. "Jungs es geht gleich los, ich hoere schon die Motorengeraeusche." Wir protestieren und pochen auf die Dienstvorschrift, er droht mit Festnahme bei Befehlsverweigerung. Wir fuegen uns, so ist der Schlaf vorbei. Um 07.00 laesst er mich als Sicherheitsposten mitaufziehen, vorne am KDL.Durch die unwarscheinlich straffe Organisations- und Meldetaetigkeit, erfaehrt der OvD Schliesslich um 07.45, dass seit 07.00 bereits Alarm ist. Ich stehe am Tor und lasse die Brote rein. Viele riechen nach Alkohol, man bekommt dafuer hier eine feine Nase. Ein Hauptmann kommt und hat seine Frau im Arm, die auch hier im Objekt arbeitet. Er zeigt dem anderen Posten den Ausweis und tritt an mich heran. Ich habe noch die Trainingsjacke unter, da ich ja aus der Bereitschaft eine halbe Stunde frueher aufgefuehrt wurde, ueberraschend, so dass ich sie nicht mehr ausziehen konnte. Seine Frau steht jetzt dicht neben ihm,einen halben Meter stehen beide vor mir. Er sieht mir in die Augen und fasst mit seiner Hand an den Kragen der Trainingsjacke, welcher unter meiner Uniform hervorlugt. Er zischt:" Sie sehen aus wie eine Schlampe.Ich wuerde Ihnen raten den Fetzen auszuziehen, sonst sage ich dem OvD er soll Sie mittags bei 30 Grad mit geschlossener Trainingsjacke, Kragen hoch, stehen lassen. Seine Frau steht daneben und grinst mich an. Ein Hass welchen ich noch nicht kannte an mir , steigt kochend heiss in mir hoch. Ich sage laut, mich muehsam beherrschend, so dass es die anderen Offiziere, die hereinstroemen, auch hoeren koennen:" Genosse Hauptmann, wenn Sie mit Ihrer Hand noch einmal auf 50 cm Naehe an meine Waffe kommen, nehme ich Sie fest und lasse Sie zum OvD Gebaeude kriechen." Er weicht zurueck, die Hand geht automatisch an die Pistole. Ich weiche zurueck, richte den Lauf meiner Maschinenpistole in seine Richtung. Seine Frau schreit auf ihr Gesicht ist angstverzerrt. Die Brote bleiben stehen, viele grinsen. Wir stehen vielleicht 20sec so dann zieht er langsam Leine, knallrot im Gesicht. Seine ,so stolze Frau stolpert ihm nach. Er geht ins OvD Gebaeude. Der Wachhabende ruft mich ans Fenster. Ich wiederhole was ich gesagt habe. Der OvD zuckt mit den Schultern und sagt:"Der Posten hat Recht." Der Hptm tritt weg. Ich versehe weiter meinen Dienst, Trainingsjacke an!! Wie ein aufgeschreckter Huehnerhaufen springt alles umher. Keiner weiss was zu tun ist. Einsatzfahrzeuge fahren hin und her. Die Brote rennen zur Kueche Um sich schnell noch Verpflegung zu holen. Endlich ruecken alle aus zum Gefechtsstand und es zieht Ruhe ein. Ein Major kommt, leise das Deutschlandlied summend, um die Ecke und geht ins OvD Gebaeude. Am Tor steht jetzt ein aelteres Ehepaar, -zivil-. Ich gehe hin und sage: "Guten Tag, wo wollen Sie hin?" "Wir wollen zu unserem Jungen, er ist hier im MED-Punkt und wir haben Briefe erhalten die uns Angst machen." Ich sage:" Tut mir leid wir haben Alarm.". Er sagt:" Wir sind aus Erfurt gekommen, der Kommandeur erwartet uns." Ich lasse sie rein. Am OvD Fenster das selbe Spiel. Man will sie grosskotzig abweisen, aber als sie den Kommandeur erwaehnen wird der glatte Leutnant blass, sagt, sie sollen in den Besucherraum gehen und greift mit der einen Hand zum Telephon und mit der anderen zur Zigarette. (ich kenn den Jungen(Sohn des Ehepaars), der hat ne leichte Macke, voellig hilflos den Repressalien der E`s ausgesetzt. Warum der in den MED-Punkt kam ist noch `ne Story fuer sich.)Nach 10 min erscheint der Kommandeur mit noch 4 Offizieren, sie gehen in den Besucheraum zu den Beiden. 20 min spaeter kommen sie wieder raus, danach gleich das Ehepaar. Die Brote drehen sich nicht mal mehr um und gehen ins Stabsgebaeude. Die Frau haelt den Mann, der leicht schwankt fest - beide voller Traenen. Ich gehe naeher ans Fenster. "Das" moechte ich "gerne" mitkriegen. Sie gehen ans Fenster heran geben ihre Besucherkarten ab und erhalten ihre Personalausweise zurueck. Der Mann sagt:" So ist das also, es hat sich doch nichts geaendert sei damals. Ich bin Invalide, aber wir lassen nicht mit uns spielen, wir werden zur naechst hoeheren Behoerde gehen und berichten was hier los ist." Der glatte Leutnent geht ans Fenster und sagt leise:" Sie verlassen sofort die Diensstelle." Der Mann flippt aus. Er schreit:" Nehmt mich doch fest ,ihr seit doch alle keine Menschen mehr." Die Frau will ihn zurueckhalten. Ich gehe dichter ran um notfalls einzugreifen. Der Mann ruft verzweifelt nach dem "Warum " und dem "Wieso". Der Leutnant (vielleicht 24 Jahre alt) schreit ihn an:" Treten sie weg und verlassen sie die Dienststelle sonst lasse ich sie arretieren!!" Der Mann dreht sich resignierend nach mir um. Ich habe ein ganz beschissenes Gefuehl im Magen und halte die Knarre (oder versuche es) ganz weit weg in eine andere Richtung. Er schaut mich an ,die Traenen kullern ueber sein Gesicht. Seine Frau zieht ihn langsam zum Tor. Ich folge den beiden um das Tor aufzuschliessen. Er sagt:" Ich verstehe es nicht." Ich sage zu ihm:" Gehen Sie nach Hause, Sie gehoeren hier nicht her, es ist eine andere Welt,sie gehoeren hier nicht her, sie sind normal denkende Menschen." Ich sage zu Ihm:" Die Zeit geht vorbei, auch fuer ihren Sohn, wir halten hier schon zusammen." Er sagt das zu mir, was er eigentlich nur seinem Sohn sagen wollte:" Halt durch,Junge!" Er will mir uebers Haar streichen, sieht den Stahlhelm (vielleicht erst jetzt) und die Hand zuckt zurueck. Ich drehe mich weg, mir ist zum Kotzen. Durchs Tor schaue ich den beiden nach, zwei seelisch total geknickte Menschen. Sie gehen am Parkplatz vorbei, Richtung Bahnhof. Ich ueberlege wie lange sie wohl gefahren sein werden, von Erfurt bis hier her, um das "Rendevouz" mit dem Kommandeur zu erleben. Ich ueberlege mir, ob der Mann nochmal fuer seine "sozialistische Heimat" seine Gesundheit aufs Spiel setzen wuerde. Ich ueberlege, warum ich ueberhaupt noch ueberlege!! Ich vesehe weiter meinen Dienst.

Der Arzt des Objekts kommt in Zivil aus dem Gebaeude und will durchs Tor. Er hat grosse Taschen und Koffer dabei. Er riecht nach Alk. Er geht ans OvD Fenster und sagt zum OvD: " Machts gut alle, ich geh fuer immer." (Ich erinnere mich, dass er Oberleutnant war, aber den Uniformrock nur noch mal zeitweise angezogen hat, da es im zivilen Leben gerade keine Arbeit fuer ihn gab,er war halt so `ne Art RESI nur 2-3 Jahre hier.) Er gibt mir die Hand und dreht sich noch mal rum,schaut uebers Objekt und Sagt:" Es ist schon bloed. Man kommt hier her, wollte was veraendern `n bischen Revolution machen, aber es ist alles beim Alten geblieben." Ich sage:" Guck dorthin. (Ich quatsche ihn einfach mit "Du" an.) Da sitzen sie, die Revolutionaere von heute." Ich zeige auf's OvD Zimmer. Er lacht, es ist ein bitteres Lachen, und geht. Fuer immer ! Ich denke bei mir, man oh man heute wirst du aber auf ?ne harte Probe gestellt. Da immer noch Alarm ist, werden wir, die wir ja eigentlich Funker sind 10.00 endlich ausgeloest von der Wachverstaerkung. Ich gehe hoch (in die Kompanie)und erfahre, dass ich nachts auf Dienst ziehen soll. Ich wasche mich und lege mich auf's Mastbett. Um 16.00 geht's zum Abendbrot, danach werde ich bis 21.00 in der Kueche verheizt. Es ist Mittwochabend und ich habe seit 56 h nicht mehr richtig geschlafen. Auf der Treppe in die Kompanie steht ein Glatter als Posten mit leerer Knarre. Er hatte wohl nichts zu tun?! Ich will in den "Club" mir `n Kaffee kochen, aber da sitzen die Brote und lassen keinen rein. (saufen Kaffee) Sie kotzen, weil sie mal 2 Tage drin bleiben muessen. Ein Oberleutnent rennt laufend zum Fenster und schaut hinueber auf den Brotewohnblock, wo seine Frau ihm zuwinkt. Er kotzt! Ich freue mich diebisch. Ich bin schon 13 Wochen am Stueck drin. Ich erfahre, dass ich doch nicht auf Dienst ziehe und lege mich (vorsichtshalber) In das Bett eines Gefreiten. Zum Glueck. Nachts geht ein paar mal die Tuer auf, sie suchen Leute fuer den Treppenposten. Sie lassen mich in Ruhe! Frueh lege ich mich nach dem Fruehstueck UNTERS hinterste Bett. Keiner sucht mich und keiner findet mich. Mittags erfahre ich, dass ich auf Wache ziehen soll. Ich ziehe auf, es ist Donnerstag. Ich stehe den ersten Aufzug, 16.00 -18.00, 22.00 - 24.00 u.s.w. 16.00 Gasalarm. Ich stehe 2 Stunden unter Vollschutz am KDL. Zivilisten laufen vorbei und fassen sich an die Stirn. 18.20 Entwarnung, ich bin klatschnass. Einer stand auf dem Dach die ganze Zeit. (Luftbeobachtung) Er hatte sich hingesetzt, weil die Sonne zu heiss schien. Ein Anruf vom Stabsgebaeude, der Posten auf dem Dach des Wachgebaeudes solle sich nicht sonnen (Unter Vollschutz!!) sondern im Kreis gehen und den strahlend blauen Himmel beobachten. Ich habe ca. 10 Offiziere durchgelassen, kein einziger hatte Schutzzeug an. Ich bin abgestumpft und lache nur noch ueber alles. Jetzt sitze ich hier auf Wache, es ist immer noch Alarmbereitschaft. Die Brote werden aber garantiert morgen "Ausgangslage" herstellen. Es geht aufs Wochenende zu. Wochenende geht sogar noch vor Krieg. Mal sehen was noch so laeuft.

Dein B. (z.Z kein Mensch sondern nur Soldat)

Treu und wachsam und diszipliniert und mit Initiative - Seinem Staat zu dienen und sein Vaterland gegen jeden Feind - Notfalls mit dem Leben zu verteidigen. (aus Fahneneid)

  • PS. (Es ist nichts gesponnen, echt jetzt.)

             Ende 





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