Atheismus

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Atheismus [griech., von a theos, ohne Gott] Weltsicht, die die Existenz eines Gottes bzw. eines absoluten Jenseits der menschlichen Erfahrungswelt bestreitet.


Der Atheismus war in der DDR keine Pflicht, d.h. es bestand laut Verfassung die Freiheit der Religion. Die Kirchen wurden nicht in vergleichbarem Maße verfolgt wie etwa in der ČSSR oder der Sowjetunion, sondern konnten sich (mit misstrauischer Beobachtung und "Durchdringung" durch das MfS) Freiräume erhalten und sogar eine gewisse Gegenöffentlichkeit etablieren.

Die SED bekämpfte die Religion auf wesentlich subtilere Weise und förderte den Atheismus letztlich viel nachhaltiger, als es in den anderen sozialistischen Staaten der Fall war. Die Religion wurde nicht frontal angegangen, sondern langfristig und geduldig ins Abseits gedrängt. Die wichtigsten "Kampfmittel" waren dabei die Volksbildung, d.h. für alle schulpflichtigen Kinder die Schule, und staatlich-administrative Maßnahmen.


Atheismus in der Schule:

Grundlage der politischen Ideologie der SED war der zur "einzig wissenschaftlichen Weltanschauung" erklärte Marxismus-Leninismus. Er durchdrang mit seinem Absolutheitsanspruch alle gesellschaftlichen Bereiche und bildete auch die Grundlage aller Lehrpläne der Volksbildung.

Den gerade in den ersten Schuljahren lernbegierigen Kindern und Jugendlichen wurde die Welt - mit abgestuften Anforderungen je nach Lebens-/Schulalter - grundsätzlich als eine zu erkennende und "sich gesetzmäßig entwickelnde" materielle Einheit dargestellt. Da sich diese erste simplifizierende Erklärung scheinbar mit dem gesunden Menschenverstand deckte, stieß die sich darauf berufende Lehre Marx' von der "Gesetzmäßigkeit" der gesellschaftlichen Entwicklung kaum auf Misstrauen. Die Abfolge der Entwicklungsstufen Urgesellschaft - Sklaverei - Feudalismus - Kapitalismus/Imperialismus - Sozialismus - Kommunismus war einfach zu behalten und wurde auch Hilfsschülern und geistig Behinderten erfolgreich vermittelt.

Der grundsätzlich atheistische Marxismus-Leninismus selbst wurde nicht nur permanent als "einzig wissenschaftliche Weltanschauung" bezeichnet, dies geschah auch im Kontext der ständigen Betonung von Wissenschaftlichkeit als höchstem Wertkriterium. "Wissenschaftlichkeit" wurde generell höher angesetzt als jede Moralvorstellung. Die neben den Natur- und Geisteswissenschaften nicht nur gleichberechtigte, sondern staatlich bevorzugte Gesellschaftswissenschaft produzierte vorgeblich universell wirkende Erkenntnisse, die es zur Erlangung höherer Bildung zu verinnerlichen galt.

In den Anfangsjahren der DDR wurden Vertreter der Religionen vereinzelt noch als Feinde des Volkes bzw. des Fortschritts charakterisiert, etwa in Kinderbüchern, die aus dem Russischen übersetzt wurden (z.B. "Schwambranien" von Lew Kassil). Mit der stärkeren Einbeziehung der Kirche in die entwickelte sozialistische Gesellschaft ? spätestens seit Ende der 60er Jahre wandelte sich die Einstellung zu einer Art väterlich-großzügiger Duldung, wobei die Religionsanhänger sinngemäß als "zurückgebliebene", aber überwiegend gutwillige Menschen hingestellt wurden.

Wenn nicht schon im Kindergarten ?, dann spätestens in der Schule entstand so ein Gruppendruck, dem sich auch wegen des Einflusses der in allen Schulen omnipräsenten Pionierorganisation und nachfolgend der FDJ nur wenige Schüler entziehen konnten (bzw. auf Verlangen der Eltern mussten). Der Besuch der Christenlehre, des Konfirmandenunterrichts oder gar der Jungen Gemeinde ? war aus SED-Sicht gleichbedeutend mit der Ablehnung der "wissenschaftlichen Weltanschauung" des Kommunismus, wurde bestenfalls belächelt und schlimmstenfalls zum Anlass für "Aussprachen" oder für Zwangsmaßnahmen genommen. Entsprechende Bemerkungen von Lehrern oder Pionierleitern waren allenthalben zu hören; junge Christen liefen deshalb stets Gefahr, zu Außenseitern degradiert zu werden.

Insgesamt hatte die SED-Volksbildung im Bereich der Schule effektive Mechanismen etabliert, die geeignet waren, religiöse Vorstellungen unattraktiv zu machen bzw. solche gar nicht erst entstehen zu lassen.


Atheismus durch staatliche Maßnahmen:

Die Begünstigung und explizite Förderung des Atheismus durch staatliche und halbstaatliche Maßnahmen geschah in den Anfangsjahren rigoroser und später ebenfalls subtiler. Die Einführung des arbeitsfreien Sonnabends in den sechziger Jahren wurde auch zur Bekämpfung (oder "Überwindung") der christlichen Tradition genutzt - neben dem Tag der Befreiung vom Hitlerfaschismus (8. Mai) wurden vor allem christliche Feiertage abgeschafft und zu Arbeitstagen erklärt (z.B. Christi Himmelfahrt, den Buß- und Bettag, regionale katholische Feiertage und Ostermontag). Trotzdem gelang es nicht, die Tradition etwa an Himmelfahrt auszulöschen - den sinnentleerten "Vatertag" nutzten allerdings die meisten Männer (auch) in der DDR für Alkoholexzesse, und die Arbeit stockte in weiten Teilen der Volkswirtschaft an diesem Donnerstag.

  • die "Umwidmung" traditioneller Feste.
Abgesehen davon, dass Heiligabend und Silvester zunächst volle Arbeitstage waren (später wurde halbtags gearbeitet; für beide Tage konnte auch ein Tag Urlaub genommen werden), gab es eine nachdrückliche Umwidmung der Feste: Einerseits hin zu heidnischen (vorchristlichen) Elementen - Weihnachtsmann und Osterhase ersetzten Christkind und den Gekreuzigten - und andererseits in Richtung kulturfremder Anlässe, etwa dem russischen Jolka-Fest. Hierbei wirkte eine Vielzahl von staatlichen und halbstaatlichen Maßnahmen, z.B. durch die Programmgestaltung in Rundfunk und Fernsehen, entsprechende Dekorationen in den Innenstädten und Verkaufseinrichtungen usw. usf.

  • das Ersetzen von Liedern (Textpassagen) und Bräuchen, sowie von Wörtern und Bedeutungen im offiziellen Sprachgebrauch.
Eine besondere Rolle spielte die Sprache, auch die Musik. In den von den staatlichen Verlagen publizierten Liederbüchern waren z.B. alte Weihnachtslieder nicht mehr enthalten oder streckenweise neu getextet (z.B. "Leise rieselt der Schnee" - Weihnacht statt Christkind). In der Schule wurden keine Gedichte oder Lieder mit christlichem Bezug mehr gelernt oder vorgetragen; dafür gab es (mitunter hervorragende und eingängige) Stücke mit unverfänglichem Inhalt, bspw. zu Weihnachten "Tausend Sterne sind ein Dom" - eine der besten deutschen Liedkompositionen der Nachkriegszeit.

Diese staatlich geförderte Abkehr von christlichen Bezügen wurde von der Bevölkerung definitiv bemerkt, aber im Allgemeinen nicht als Problem empfunden (außer von manchen bewussten Christen selbst).
So konnte sich z.B. das Weihnachtsfest zu einer areligiösen Familienfeier wandeln - eine ganz ähnliche Entwicklung wie in der BRD zur gleichen Zeit, aber mit anderen Ursachen. Denn der obligate Mangel an Konsumgütern ? verhinderte Konsum- und Reklameauswüchse; für die stimmungsvolle Untermalung sorgten die erwähnten staatlichen Stellen via Medien und Einzelhandel unter Weglassen christlicher Symbolik.

Dass die Bemühungen der Staatsorgane zur Bekämpfung christlicher Traditionen sehr wohl durchschaut wurden, zeigte sich an diversen Witzen, wozu etwa die unausrottbare Legende von der "geflügelten Jahresendfigur" (=Engel) gehört und indirekt auch das sprichwörtliche "Erdmöbel" (=Sarg, auch eine Erfindung des Eulenspiegel). Letzteres wies auf den zunehmenden Einfluss der Staatsbürokratie auf Art und Weise der Bestattungen hin, was mit einer Abnahme der christlichen Begräbnisse einherging (dafür z.B. Trauerredner statt Pastor, "neutrale" Musikwahl).

Im Laufe der Jahre bewirkten diese Maßnahmen in ihrer Gesamtheit eine konsequente "De-Christianisierung".

(noch zu ergänzen)


  • Links:
    • Beispiel für Legendenbildung zum DDR-Atheismus: zur "Jahresendfigur"





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